Angeblich machen sie nicht nur schön, sondern auch schlank und gesund und Hollywoods Stars sollen auf sie schwören: Chia-Samen. Die braun-, grau- oder weißmelierten Samen der ursprünglich aus Mexiko stammenden Chia-Pflanze ähneln denen des Leinsamens. Das gilt sowohl für das Aussehen und als auch für die Inhaltstoffe. Was ist dran an den kleinen Körnern, die inzwischen in jedem Biosupermarkt und auch bei Discountern zu haben sind? Wie gesundheitsfördernd sind die Samen wirklich? Helfen sie womöglich gegen Krebs? Oder gibt es gar Gründe, warum Krebspatienten den Trend um Chia-Samen vielleicht nicht mitmachen sollten? krebsinformationsdienst.med hat die Evidenz zum Thema Chia-Samen geprüft und für Sie und Ihre Patienten zusammengefasst.
Vom Grundnahrungsmittel der Azteken zum "Superfood" der Neuzeit
Chia-Pflanzen (Salvia hispanica) werden in weiten Teilen von Süd- und Mittelamerika, aber auch in Australien und Spanien angepflanzt. Bei den Azteken war Chia eine weit verbreitete Nutzpflanze, die roh oder getrocknet im Essen zubereitet wurde. Sie geriet bei den Nachfahren, mit Ausnahme von regionalen Traditionen, in Vergessenheit. Jetzt wird Chia wieder vielfältig als Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Chia-Samen werden oft als sogenanntes Superfood angepriesen. Dieser Begriff aus dem Marketing wird für nährstoffreiche Lebensmittel verwendet, die als besonders förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden erachtet werden. Tatsächlich muss ein solches Lebensmittel in der Europäischen Union nach der Health-Claims-Verordnung aber ein strenges Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor es in einem genau definierten Rahmen mit gesundheitsfördernden Effekten werben darf.
Anbieter aus Nicht-EU-Ländern sind an diese Vorgaben nicht gebunden und so werden Chia-Samen auf diversen Internetseiten für folgende Einsatzmöglichkeiten angeboten:
- als komplementäre Methode zur Unterstützung einer Krebstherapie
- zur Vorbeugung von Krebs
- zur Vorbeugung und Verbesserung verschiedener anderer Erkrankungsbilder, beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Arteriosklerose
- zur Unterstützung des Immunsystems, des Gehirns und der Verdauung
- als Nahrungsergänzungsmittel für schöne Haut, Haare, Nägel, Knochen und Zähne
- zum Abnehmen oder Entwässern
Studien zu Chia-Samen
Kohlenhydrate: 7,72 g
Ballaststoffe: 34,40 g
Fette: 30,74 g
gesättigten Fettsäuren: 3,33 g
ungesättigen Fettsäuren: 23,67 g, davon 17,83 g Omega-3-Fettsäuren und 5,84 g Omega-6-Fettsäuren
Protein: 16,54 g
Wasser: 5,80 g
Rest:
Mineralien: in sehr hohen Mengen Magnesium, Mangan und Phosphor
Vitamine: in höheren Mengen Vitamin B1 (Thiamin) und B3 (Niacin)
Tatsächlich gibt es nur uneinheitliche Daten für die Wirksamkeit von Chia-Samen. Ein Großteil der Daten stammt aus experimentellen Studien an Zelllinien und Tieren und lässt sich nicht direkt auf die Anwendung beim Menschen übertragen. Daten aus Untersuchungen beim Menschen sind wenig aussagekräftig:
In kleineren klinischen Studien am Menschen wirkten sich Chia-Samen positiv auf Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus. Sie senkten den Blutdruck bei Hypertonie und verminderten den postprandialen Blutzuckerspiegel.
Ob Chia-Samen tatsächlich das kardiovaskuläre Risiko senken können, ist nicht eindeutig geklärt. In einer Studie mit Typ-II-Diabetikern zeigte sich ein positiver Effekt auf entsprechende kardiovaskuläre Risikofaktoren, in einer Studie mit gesunden Übergewichtigen dagegen nicht. Laut den Ergebnissen der letztgenannten Studie halfen Chia-Samen auch nicht beim Abnehmen.
Die Wirkung gegen Krebs soll nach Aussagen verschiedener Anbieter auf den nachgewiesenen antioxidativen Eigenschaften der Chia-Samen beruhen. Eine Studie an Mäusen hat eine hemmende Wirkung von Chia-Öl auf das Wachstum und die Metastasierung von Adenokarzinomen der Brust gezeigt. Präklinische Studien können jedoch auf keinen Fall die vor der Arzneimittelzulassung erforderlichen klinischen Studien ersetzen. Aussagekräftige klinische Studien, die eine Wirkung auf das Wachstum oder die Streuung von Krebs beim Menschen belegen, gibt es bisher nicht. Chia-Samen werden in Leitlinien zur Krebstherapie nicht empfohlen.
Neben- und Wechselwirkungen beim Verzehr
Eine vorbeugende oder therapeutische Wirkung gegen Krebs beim Menschen durch Chia-Samen ist nicht durch aussagekräftige wissenschaftliche Studien belegt.
Möchten Krebspatienten dennoch im Rahmen einer ausgewogenen, gesunden Ernährung Chia-Samen verzehren, spricht in der Regel nichts dagegen. Ein übermäßiger oder einseitiger Konsum kann hingegen Risiken bergen und sollte kritisch hinterfragt werden.
Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung sind auch bei Krebspatienten mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Nebenwirkungen durch den Verzehr von Chia-Samen zu erwarten. Einzig Personen, die zu Allergien neigen, sollte zur Vorsicht geraten werden, da es sehr selten zu einer anaphylaktischen Reaktion kommen kann.
Ähnlich wie Leinsamen und Kleie binden Chia-Samen Wasser im Verdauungstrakt. Patienten mit chronischen Magen-Darm-Beschwerden, beispielsweise Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa, sollte in akuten Krankheitsphasen geraten werden, auf eine ballaststoffreiche Kost zu verzichten: neben Nüssen, Kleie und Leinsamen betrifft das auch Chia-Samen.
Wechselwirkungen zwischen Chia-Samen und Arzneimitteln sind möglich, besonders wenn die Samen in hohen Mengen gegessen werden. Gewarnt wird etwa bei der Einnahme von Blutgerinnungshemmern oder Antihypertensiva. Werden zusätzlich zu Chia weitere Nahrungsergänzungsmittel eingenommen, die Omega-3-Fettsäuren oder Antioxidantien enthalten, kann sich beispielsweise das Blutungsrisiko erhöhen. Generell ist es wichtig, Krebspatienten darauf hinzuweisen, dass ein übermäßiger Verzehr von Antioxidantien die Wirkung einer Chemo- oder Strahlentherapie beeinträchtigen kann: Die Wirkung dieser Therapien beruht zum Teil darauf, dass reaktive Sauerstoffradikale die Krebszellen schädigen. Aus diesem Grund sind große Mengen von Antioxidantien kontraproduktiv.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Weitere Übersichtsarbeiten und Fachveröffentlichungen
Übersichten
Über die nährenden und funktionellen Eigenschaften von Chia-Samen informiert eine mexikanische Übersicht aus dem Jahr 2015. Valdivia-López MA, Tecante A. (2015) Chia (Salvia hispanica): A Review of Native Mexican Seed and its Nutritional and Functional Properties. Adv Food Nutr Res. 2015;75:53-75. doi: 10.1016/bs.afnr.2015.06.002.
Schon 2009 fasste eine US-amerikanische Arbeitsgruppe der ehemaligen Natural Standard Research Collaboration (inzwischen Natural Medicines) medizinische Fakten zu Chia-Samen zusammen. Ulbricht C et al. (2009). Chia (Salvia hispanica): a systematic review by the natural standard research collaboration. Rev Recent Clin Trials. 2009 Sep;4(3):168-74.
Fachartikel
Die Wirkung von Chia auf einige wenige Patienten mit behandeltem oder unbehandeltem Bluthochdruck beschreibt eine brasialianische Studie. Toscano LT et al. (2014). Chia flour supplementation reduces blood pressure in hypertensive subjects. Plant Foods Hum Nutr. 2014 Dec;69(4):392-8. doi: 10.1007/s11130-014-0452-7.
Wie Chia-Samen den postprandialen Glukosespiegel von gesunden Personen beeinflusst, zeigte eine kanadische Arbeitsgruppe im Rahmen von mehreren Studien:
- Ho H et al. (2013). Effect of whole and ground Salba seeds (Salvia Hispanica L.) on postprandial glycemia in healthy volunteers: a randomized controlled, dose-response trial. Eur J Clin Nutr. 2013 Jul;67(7):786-8. doi: 10.1038/ejcn.2013.103.
- Vuksan V et al. (2010). Reduction in postprandial glucose excursion and prolongation of satiety: possible explanation of the long-term effects of wholegrain Salba (Salvia Hispanica L.). Eur J Clin Nutr. 2010 Apr;64(4):436-8. doi: 10.1038/ejcn.2009.159.
Bezüglich des kardiovaskulären Risikos ist die Datenlage nicht eindeutig:
- Nieman DC et al. aus den USA kamen zu einem negativen Ergebnis bei übergewichtigen Personen. (2009). Chia seed does not promote weight loss or alter disease risk factors in overweight adults. Nutr Res. 2009 Jun;29(6):414-8. doi: 10.1016/j.nutres.2009.05.011.
- Vuksan V et al. aus Kanada zeigten positive Daten bei Typ-II-Diabetikern. (2007). Supplementation of conventional therapy with the novel grain Salba (Salvia hispanica L.) improves major and emerging cardiovascular risk factors in type 2 diabetes: results of a randomized controlled trial. Diabetes Care. 2007 Nov;30(11):2804-10.
Ergebnisse aus Argentinien zeigten eine wachstumshemmende Wirkung von Chia-Öl auf
Adenokarzinome der Brust bei Mäusen. Espada CE et al. (2007). Effect of Chia oil (Salvia Hispanica) rich in omega-3 fatty acids on the eicosanoid release, apoptosis and T-lymphocyte tumor infiltration in a murine mammary gland adenocarcinoma. Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids. 2007 Jul;77(1):21-8.
Fallbericht einer durch Chia-Samen induzierten anaphylaktischen Reaktion aus Spanien. García Jiménez S et al. (2015). Allergen characterization of chia seeds (Salvia hispanica), a new allergenic food. J Investig Allergol Clin Immunol. 2015;25(1):55-6.
Die Wirkweise von Oxidantien und Antioxidantien bei metastasiertem Krebs erläutert diese US-amerikanische Studie. Watson J (2013). Oxidants, antioxidants and the current incurability of metastatic cancers. Open Biol. 2013 Jan 8;3(1):120144. doi: 10.1098/rsob.120144.
Rechtlicher Rahmen und Behördeninformationen
Die europäische Health-Claims Verordnung (Verordnung Nr. 1924/2006, aktuelle Fassung Nr. 1047/2012) regelt, welche Angaben zu Nährwehrten und gesundheitsbezogenen Aspekten auf Lebensmitteln gemacht werden dürfen und müssen, findet sich in der aktuellen Fassung von 2012 auf der Internetseite der
Europäischen Kommission auf Deutsch: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006R1924-20121129 (PDF)
USDA
United States Department of Agriculture - National Nutritient Database for Standard Reference 28 - Full Report (All Nutrients): 12006, Seeds, chia seeds, dried. https://ndb.nal.usda.gov/ndb/foods/show/3610?fgcd=&man=&lfacet=&count=&max=35&sort=&qlookup=12006&offset=&format=Full&new=&measureby=
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