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Was ist eine tumoragnostische Krebstherapie?

Neuartige Biomarker-basierte Behandlung von Krebs

In der Onkologie richtet sich die Therapie traditionell nach der Lokalisation des Primärtumors und seiner Histologie. Dieses Paradigma beginnt zu bröckeln: Neu auf den Markt gekommen sind jetzt sogenannte tumoragnostische Wirkstoffe, die das Portfolio der Krebsmedikation erweitern. Was die tumoragnostische Behandlung für Krebspatienten und ihre Ärzte bedeutet, erläutert Ihnen krebsinformationsdienst.med.

Definition: "Tumor-agnostisch"

Der Begriff "agnostisch" kommt aus dem Altgriechischen und heißt übersetzt "ohne Wissen". Im Deutschen wird eine tumoragnostische Krebstherapie auch als Tumortyp-agnostisch oder Histologie-agnostisch bezeichnet. Das bedeutet: Die Behandlung orientiert sich weder an Krebsart und Ursprungsorgan noch an den Gewebeeigenschaften. Stattdessen basiert sie auf dem Nachweis spezifischer molekulargenetischer Veränderungen (Biomarker) im Tumor.

Im Englischen findet man die Begriffe

  • tumor-agnostic
  • site-agnostic
  • tissue-agnostic

Indikation: Tumoragnostische Zulassung

Zum ersten Mal wurden in der Krebsmedizin 2017 und 2018 in den USA zwei tumoragnostische Krebsmedikamente zugelassen: Sie zeigten bei Patienten mit soliden Tumoren im fortgeschrittenen Stadium, die einen bestimmten Biomarker aufwiesen, eine gute Wirksamkeit und ein lang andauerndes Ansprechen der Therapie.

  • Pembrolizumab (Handelsname Keytruda®) für Tumoren mit hochgradiger Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) beziehungsweise mit einem DNA-Reparaturdefekt (Mismatch-Repair-Defizienz)
  • Larotrectinib (Handelsname Vitrakvi®) für Tumoren mit einer Genfusion, bei denen neurotrophe Tyrosin-Rezeptor-Kinase (NTRK)-Gene beteiligt sind

In Europa ist Pembrolizumab bisher nur lokalisationsabhängig zugelassen, beispielsweise für Haut-, Blasen- und Lungenkrebs. Für Larotrectinib hingegen wird die tumoragnostische, das heißt Biomarker-abhängige Zulassung erwartet: Seit August 2018 ist eine entsprechende Zulassung für Larotrectinib bei der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) beantragt.

Bedeutung: Präzisionsonkologie

Erbmaterial in Form von DNA-Strängen und Chromosomen, Foto: © nobeastsofierce, Fotolia
Desoxyribonukleinsäure (DNA) © nobeastsofierce, Fotolia

Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass jeder Krebs einzigartig ist. Ein Tumor zeichnet sich nicht allein dadurch aus, wo er im Körper des Patienten wächst und wie er unter dem Mikroskop aussieht. Hinzu kommen seine spezifischen molekularen und genetischen Eigenschaften ‒ unabhängig von der Krebsart. Solche Biomarker können gezielte Angriffspunkte für neue Krebstherapien bieten.

Wann kommt eine tumoragnostische Therapie infrage?

Noch kommt eine tumoragnostische, rein Biomarker-basierte Therapie nur für eine kleine Gruppe von Krebspatienten infrage. Voraussetzung ist ein solider Tumor, ein fortgeschrittenes oder metastasiertes Tumorstadium sowie der Nachweis des relevanten Biomarkers. Bezogen auf alle Krebserkrankungen ist diese Konstellation selten. Bei seltenen Tumorarten jedoch tritt eine solche Situation vergleichsweise häufig auf.

Wie werden die zulassungsrelevanten Biomarker getestet?

Für den Nachweis von Mikrosatelliteninstabilität, Mismatch-Repair-Defizienz oder NTRK-Genfusionen sind komplexe Testverfahren notwendig. Untersucht werden beispielsweise einzelne Gene und Genprodukte, DNA-Abschnitte und das ganze Tumorgenom ‒ in der Regel an einer Gewebeprobe des Tumors. Eingesetzt werden unter anderem

  • immunhistochemische Methoden (ICH),
  • Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH),
  • Polymerasekettenreaktion (PCR),
  • Next Generation Sequencing (NGS) sowie
  • kombinierte Analysen.

Tumoragnostische Therapie: Spezielles Studiendesign

Randomisiert kontrollierte Studien liefern traditionell die bestmögliche Evidenz. Bei der tumoragnostischen Krebstherapie ist dieses Vorgehen jedoch nicht praktikabel: Da die relevanten Biomarker nur selten auftreten, wird für neue Wirkstoff-Zulassungen ein innovatives Studiendesign benötigt. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte "Korb-Studie" (englisch: basket trial).

Was sind Basket-Studien?

Basket-Studien ermöglichen, Patienten mit vielfältigen Krebserkrankungen auf einen bestimmten Biomarker zu screenen. Die Patienten mit dem gemeinsamen Biomarker werden "in einem Korb" gesammelt. An dieser Biomarker-definierten Patientengruppe lässt sich testen, wie gut und wie lange das neue tumoragnostische Arzneimittel wirkt. Eine direkte Kontrollgruppe gibt es bei Basket-Studien nicht. Ihre hohe Aussagekraft erreichen sie durch das gezielte medikamentöse Ansteuern eines biologischen Mechanismus: Das führt zu einem besonders guten und meist lang andauernden Ansprechen. Basket-Studien werden international und auch an spezialisierten Zentren in Deutschland durchgeführt.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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