Archiv

Was ist dran: Mistel in der Krebstherapie?

Bloßer Weihnachtsschmuck oder ernstzunehmende Therapieoption in der Onkologie?

Mistelzweige fallen in der Adventszeit hierzulande nicht nur in den Kronen entlaubter Bäume auf. Auch als Weihnachtsschmuck sind sie beliebt – in Mitteleuropa sogar schon aus der Zeit, bevor der Christbaum in Mode kam. Während die Mistel bei den Germanen und Kelten als Schutz vor allerlei Bösem, Glücksbringer oder Symbol der Fruchtbarkeit galt, wird sie heute in der Komplementärmedizin bei Krebs eingesetzt. Welche Evidenz für die Misteltherapie bei Krebs derzeit vorliegt, fasst der Krebsinformationsdienst für Sie zusammen.

Bräuche und Legenden rund um den Mistelzweig

Mistelzweig auf dem Weihnachtsmarkt. © Peggy Choucair, Pixabay
Die Mistel – dekorativ in der Weihnachtszeit, diskutabel in der Onkologie. © Peggy Choucair, Pixabay

Der bekannteste Brauch ist sicher das Küssen unter dem Mistelzweig. Woher diese Tradition kommt, dazu gibt es mehrere Erzählungen. Laut einer Legende aus der nordischen Mythologie soll Balder, ein Sohn der Liebesgöttin Frigga, durch eine List des Gottes Loki mit einem zu einer Waffe umfunktionierten Mistelzweig getötet worden sein. Friggas daraufhin vergossene Tränen verwandelten sich in die weißen Beeren des Mistelzweigs. Es wird erzählt, dass Frigga ihren Sohn jedoch von den Toten zurückholen konnte und aus lauter Freude jeden küsste, der unter dem Baum mit dem Mistelzweig vorbeiging.

Andere Erzählungen sehen den Ursprung des Kusses unter dem Mistelzweig in Skandinavien. Hier soll es in einem Wald unter einer Mistel zu einem Waffenstillstand und einem Friedenskuss gekommen sein, woraus dann in späteren Zeiten der Liebeskuss wurde. Die Mistel galt aber auch seit jeher als Symbol der Fruchtbarkeit. So brauten die keltischen Druiden unter anderem Fruchtbarkeitstränke aus der Mistel. Und manch einer behauptet sogar, dass die Mistel mit ihren weißen, klebrigen Beeren optisch an Geschlechtsorgane von männlichen Eichen erinnert.

Die Mistel in der Krebstherapie

Qualitativ hochwertige Studien zur Misteltherapie fehlen

Die Autoren der beiden systematischen Reviews aus dem Jahr 2019 merken diverse Mängel an den vorliegenden Studien zur Misteltherapie bei Krebspatienten an. Solche methodischen Schwächen könnten die Studienergebnisse beeinflusst haben. Risiko für Bias lag beispielsweise aus den folgenden Gründen vor:

  • Keine der randomisierten kontrollierten Studien war verblindet bzw. doppelblind.
  • In allen Studien lag ein Detektionsbias vor. Das heißt, in den Studiengruppen wurden die Ergebnisse mit unterschiedlichen Verfahren bestimmt.
  • Ein Drittel der einbezogenen 28 Studien stammt von zwei Autorengruppen. Einige dieser Studien griffen dabei auf eine einzige Patientenkohorte zurück.
  • Bei einigen Studien lagen Interessenskonflikte vor.

Ob die Mistel einen Stellenwert in der Krebstherapie hat, ist noch umstritten und Gegenstand von Diskussionen unter Experten. Sichere Aussagen zur Misteltherapie zu treffen, ist aufgrund der derzeitigen Datenlage kaum möglich. Die Studien, die zur Anwendung von Mistelpräparaten in der Onkologie durchgeführt wurden, sind qualitativ nicht sehr hochwertig. Es gelten im Prinzip noch immer die Aussagen eines schon über zehn Jahre alten Cochrane-Reviews.

Publikation der Cochrane Collaboration 2008

Die Autoren des Cochrane-Reviews aus dem Jahr 2008 kommen zu dem Schluss, dass die vorliegenden Forschungsergebnisse nicht ausreichen, um mögliche positive Auswirkungen der Mistel auf Krebspatienten zu belegen1. Sie kritisierten außerdem die schlechte wissenschaftliche Qualität vieler Studien.

Systematische Übersichtsarbeiten 2019

Auch die Autoren zweier aktueller systematischer Reviews aus dem Jahr 2019 kommen zu dem Schluss, dass die vorliegenden Studien nicht genug Hinweise darauf liefern, eine Misteltherapie zur Krebsbehandlung oder zur Verbesserung der Lebensqualität einzusetzen2,3. Ihre systematische Literaturrecherche ergab:

Gesamtüberleben: Nur in 5 von 14 Studien verlängerte eine Mistelbehandlung das Gesamtüberleben. In den anderen 9 Studien war das Gesamtüberleben nicht länger als das der Kontrollgruppe. Und: Gerade in den qualitativ hochwertigeren Studien war kein Unterschied zu beobachten2.

Lebensqualität: Bezüglich der Lebensqualität kann laut den Autoren keine eindeutige Aussage getroffen werden. Zwar zeigten sich in der Mehrzahl der 17 einbezogenen Studien positive Effekte unter der Misteltherapie. Allerdings kritisieren die Autoren der Übersichtsarbeiten methodische Schwächen der Studien (siehe Infobox). Beispielsweise erfassten sie die Lebensqualität mit unterschiedlichen Verfahren, einige sogar mit einem selbst entworfenen, unvalidierten Fragebogen3.

Auswirkung auf die Toxizität einer Chemotherapie: Die Frage, ob eine Misteltherapie die Nebenwirkungen einer Chemotherapie mindern kann, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Aufgrund der schlechten methodischen Qualität der vorliegenden Studien ist die Evidenz für diese Fragestellung gering, so die Autoren3.

Nebenwirkungen: In mehr als der Hälfte der Studien kam es zu unerwünschten Ereignissen unter der Misteltherapie. Meist handelte es sich um geringe bis mäßige Nebenwirkungen, wie Hautreaktionen an der Einstichstelle. Selten traten aber auch schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf: Von insgesamt 27 schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen waren 3 auf die Misteltherapie zurückzuführen, darunter beispielsweise ein Angioödem2.

Risiken einer Misteltherapie

Achtung bei bestimmten Patientengruppen: Zwar war die Misteltherapie in den bisherigen Studien eher mit milden Nebenwirkungen verbunden. Dennoch scheint bei einigen Patienten Vorsicht bei der Anwendung von Mistelpräparaten geboten. Um sichere Aussagen treffen zu können, sind jedoch aussagekräftige klinische Studien nötig.

Einige Experten und Leitlinien raten in bestimmten Fällen von einer Misteltherapie ab. Dazu gehören Patienten mit Leukämien, Lymphomen, einem Nierenzellkarzinom oder malignem Melanom. Der Grund: Es gibt Hinweise aus klinischen Studien, dass sich diese Krebserkrankungen unter einer Misteltherapie verschlechtern. Tumorerkrankungen, die von Immunzellen ausgehen, könnten durch die mögliche immunstimulierende Wirkung der Mistelextrakte eher gefördert statt bekämpft werden.

Vorsicht bei einigen Krebsmedikamenten: Daneben ist eine Interaktion mit immunologisch wirkenden Medikamenten denkbar. So könnten beispielsweise Nebenwirkungen von Immun-Checkpoint-Hemmern durch eine Misteltherapie verstärkt werden. Andere Krebsmedikamente wie Taxane gehen häufig mit Überempfindlichkeitsreaktionen einher. Da auch Mistelpräparate zu allergischen Reaktionen führen können, raten einige Experten von einer gleichzeitigen Misteltherapie ab.

Risiko für Ödeme: Patienten mit Hirntumoren und Hirnmetastasen wird von einer Mistelbehandlung abgeraten. Bei ihnen besteht ein erhöhtes Risiko, dass es während einer Misteltherapie zu Flüssigkeitseinlagerung rund um das Tumorgewebe und damit zu einem Hirnödem kommt.

Fazit

Die Misteltherapie bei Krebs bleibt umstritten:

  • Noch immer gibt es keine sicheren Belege für eine Wirksamkeit gegen Krebs oder für die Verbesserung der Lebensqualität.
  • Viele bisher durchgeführte Studien sind von schlechter Qualität.
  • Bei einigen Patienten, beispielsweise Leukämie- oder Lymphompatienten, raten Leitlinien und Fachgesellschaften aus Sicherheitsgründen von einer Misteltherapie ab.


krebsinformationsdienst.med: Service für Fachkreise



Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

powered by webEdition CMS